Einsatzkräfte trainieren mit Motorsägen am „Baumbiegesimulator“
Das Sägen und Fällen von Bäumen ist schon im Normalfall keine ungefährliche Angelegenheit. Nach Stürmen und Unwettern wird der Umgang mit umgestürzten Bäumen jedoch noch eine Stufe kniffeliger: Liegende oder schräg hängende Stämme stehen unter mechanischer Spannung. Diese kann sich beim Durchsägen schlagartig lösen. Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) Gronau, die als Motorsägenführer*innen ausgebildet sind, konnten dies in den vergangenen Wochen während einer praktischen Fortbildung hautnah erleben.
Die Teilnehmenden sind allesamt im Technischen Hilfswerk schon länger für den Umgang mit Motorsägen einsatzbereit. Sie haben sich während ihrer umfangreichen Ausbildung der letzten Jahre die entsprechenden Berechtigungsscheine erworben. Trotzdem war diese praktische Fortbildung eine besondere Herausforderung.
Dafür hatte das THW Gronau über den Landesverband einen sogenannten „Baumbiegesimulator“ über einen längeren Zeitraum auf dem Hof der Unterkunft aufgebaut. Dieser bietet die Möglichkeit, Baumstämme einzuspannen und mit hydraulischer Kraft von mehreren Tonnen zu verbiegen. Eine Situation, wie sie im Ernstfall in Wäldern, aber auch Gärten und öffentlichen Grünanlagen anzutreffen ist. Das THW Gronau hatte besonders nach Unwettern in der Vergangenheit immer wieder Einsätze mit solchen Situationen.
Wegen der Corona-Pandemie fanden die begehrten Unterrichtseinheiten am Simulator an mehreren Abenden in Kleinstgruppen von je drei THW-Helfer*innen plus Ausbilder statt. Das ist beim THW derzeit eine Ausnahme, wie der Gronauer Ortsbeauftragte Florian Ewering erklärt: „Leider finden aktuell für unsere Helferinnen und Helfer keine praktischen Ausbildungen statt. Jedoch müssen unsere Kräfte stets gut vorbereitet und sicher in die Einsätze gehen können. Das geht nur mit einer guten Ausbildung und viel Routine. Aber mit verkleinerten Einsatzgruppen und unseren strengen Hygieneregeln ist das aktuell gut vertretbar.“
Der Baumbiegesimulator steht in THW-blau auf dem Unterkunftshof und sieht aus, wie ein nackter Kernspintomograf, den sich jemand selbst zusammengeschweißt hat. THW-Gruppenführer Martin Tüpker erläutert am Freitag (14.05.2021) der letzten Ausbildungsgruppe den Sinn der Fortbildung: „Ihr sollt selber einschätzen können, was bei Bäumen geht und was nicht – damit es euch im Ernstfall nicht die Kniescheiben weghaut oder sogar noch schlimmeres passiert.“ Der routinierte THW-Helfer erläuterte, wie die bereitliegenden Baumstämme ins Gerät eingespannt und mit der Handpumpe unter Druck gesetzt werden. Die Biegung ist leicht mit dem Auge auszumachen. Die Situation ist vergleichbar mit einem Baum, der halb umgekippt ist und nun schräg über dem Boden hängt. Was im Stamm passiert, muss allerdings in der Vorstellung visualisiert werden. Für einen Laien ist von außen nichts zu erkennen. „Am wichtigsten ist die Beurteilung vor dem Sägen“, beschwört Tüpker seine Helfer*innen ein. „Erst wenn ihr wisst, wo Zugholz und wo Druckholz ist, könnt Ihr anfangen mit der Arbeit.“
Die eine Seite des Baumstamms wird bei der Biegung auseinander gezogen, die andere wird gestaucht. Sägt man zu tief in die Stauchung – das „Druckholz“ – kann die Säge stecken bleiben. „Deshalb muss immer eine Ersatzsäge bereit sein“, unterstrich Tüpker. Das „Zugholz“ dagegen platzt nach außen, wenn man das Holz durchtrennt. „Das ist unvermeidlich“, so der erfahrene Gruppenführer. „Wenn ihr die Gefährlichkeit der Situation erkennt, könnt ihr damit sicherer umgehen“ erklärte er das weitere Vorgehen. Dafür ist diese Übung am Gerät so wichtig: Nur durch Routine kann im Ernstfall am echten Baum gefahrloser gearbeitet werden. Der Baumbiegesimulator ist so konstruiert, dass der Stamm nur wenige Zentimeter ungefährlich zur Seite ruckt. Trotzdem sind alle Teilnehmer beim Sägen hoch konzentriert.
Für diese Arbeit reicht die reguläre THW-Schutzkleidung nicht aus. Die Einsatzkräfte trägen eine schwere Schnittschutzhose, die bei einem Kontakt mit dem Schwert der Kettensäge sofort dazu führt, das Gerät zu stoppen. Dazu kommen ein Helm mit Visier und Gehörschutz, die dicken Einsatzhandschuhe und extra schnittfeste Spezialstiefel. Dass gegen Corona auch noch eine FFP2-Maske getragen wird, bemerkt kaum noch jemand. Sobald die Säge läuft ist man wie in einem Tunnel, es zählt nur noch der Stamm. Im Kopf visualisieren die THW-Helfer*innen immer wieder das Verhältnis von Zug- und Druckholz und die erwartete Bewegung des fünf Meter Baumstamms, wenn die letzten Fasern zerschnitten sein werden.
Lautes Dröhnen klingt auf und der Geruch von Benzin weht durch die Luft, als die entscheidenden Schnitte getätigt werden. Mit gestreckten Armen wird die Säge gehalten, damit die Bediener nicht vom Stamm getroffen werden. Ein kurzer Ruck, der Stamm springt leicht nach oben – das war’s schon. „Klasse Arbeit“, lobte der Gruppenführer und Ausbilder Martin Tüpker. Diese Erfahrung schafft Sicherheit für den nächsten Einsatz. Den Sägenbedienern läuft ein dicker Schweißtropfen von der Stirn. Dass die FFP2-Maske klatschnass ist, merken sie erst später. Hose und Jacke sind komplett durchgeschwitzt, aber das kümmert niemanden mehr. Der Schnitt ist sicher verlaufen. Das ist jetzt alles, was zählt.
Quelle:
Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit, Technisches Hilfswerk Ortsverband Gronau, Ralf Kosse