Der Rettungsdienst in Deutschland ist dringend „behandlungsdürftig“. Nach Feststellung von Experten ist ein erheblicher Teil aller Einsätze von Rettungswagen unnötig. Mancherorts haben die Retter die Grenzen ihrer Kapazität erreicht. „Das Thema muss dringend in Angriff genommen werden“, sagten Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Feuerwehren im Rettungsdienst (AG FReDi), des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) und der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) nach einem Besuch der Messe RETTmobil in Fulda.
Die Gründe für die Zuspitzung der Situation, so wurde betont, sind vielfältig. Neben der Pandemie, die zu einer Veränderung in der Bevölkerung geführt habe, seien beispielsweise auch demografische Faktoren ausschlaggebend. Ferner spiele eine gewisse „Vollkaskomentalität“ in der Bevölkerung eine Rolle, und auch der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst unter der bundesweiten Telefonnummer 116 117 sei häufig schwer erreichbar. „In solchen Fällen wird dann oft die Notrufnummer 112 gewählt – auch, wenn es sich nur um eine Bagatelle handelt“, bedauert AG FReDi-Sprecher Jörg Wackerhahn. Die AG ist ein Teil der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund). „Nur schwer können die Disponenten in den Leitstellen den Erfahrungen zufolge aus der Ferne feststellen, welches das geeignete Rettungsmittel ist“, erklärt Wackerhahn. Inzwischen gibt es in einzelnen Regionen unterschiedliche Lösungsansätze – unter anderem mit einem Tele-Notarzt, der die Kräfte am Einsatzort unterstützt. Als erfolgversprechend erweist sich auch die Arbeit eines Gemeindenotfallsanitäters. Er wird in bestimmten Fällen zum Patienten geschickt, um vor Ort zu entscheiden, ob der Hilfesuchende vor Ort behandelt werden kann, per Kranken- oder Rettungswagen in die Klinik gebracht oder vom Notarzt versorgt werden muss.
„Auf keinen Fall kann die Lösung des Problems sein, mehr Rettungswagen zu fordern“, sagt DFV-Präsident Karl-Heinz Banse. „Vielmehr muss nach zuverlässigen Möglichkeiten gesucht werden, niederschwellige Hilfeersuchen von echten Notfällen unterscheiden zu können“, erläutert Banse. vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner sieht dabei als wichtige Aufgabe die Förderung der Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung. „Das könnte schon in den Schulen mit Pflichtunterricht in Erster Hilfe beginnen“, so Aschenbrenner, „aber zunächst muss auch das Bewusstsein dafür gefördert werden. Vielleicht hat die Pandemie so gesehen sogar einen Anstoß im Sinne eines funktionierenden Bevölkerungsschutzes gegeben.“ Darüber hinaus setzt Aschenbrenner große Hoffnungen in die Digitalisierung und auf „Künstliche Intelligenz“, die bei der Bewertung von Notrufen und Ressourcensteuerung wichtige Entscheidungshilfen liefern können.
Auf der bevorstehenden Weltleitmesse INTERSCHUTZ 2022 vom 20. bis 25. Juni in Hannover wollen die Organisationen die Problematik des überlasteten Rettungsdienstes weiter beleuchten und die Lösungsmöglichkeiten vertiefen.
17.5.2022, vfdb